Das globale (Wein-)Panschen der Alten & Neuen Welt

Sechs Länder leiden unter ihrem Wein-Image: USA, Südamerika, Australien, Neuseeland, Südafrika und Kanada. Sie alle gehören im Weinbau zur Neuen Welt und sind mit Vorurteilen behaftet. So manch weintrinkender Europäer rümpft bei dem Wortpaar schnell seine Nase. Aber das Winemaking der Neuen Welt heißt nichts weniger als das Weinbauen in der Alte Welt. Trotzdem schwingt bei den Weinen fernab der Ozeane etwas Negatives mit. Einem schießt der Gedanke an Panscherei in den Kopf. Halbe Schippe Aromen, ein paar Eichenholzchips, drei Zuckerwürfel und einen Tropfen Säure. Fertig ist der Neue Welt Wein. Sind solche Aussagen substanziell? Tragen wir den Konflikt einmal offen aus!

Das globale Wein-Panschen der Alten Welt und Neuen Welt
Wer sind die globalen Meister des Wein-Panschens?

Neue Welt Wein vs. Alte Welt Wein

Das Trendwort Nummer eins in der Weinszene ist Terroir. Ein Begriff, der das Zusammenspiel zwischen Mikroklima, Boden, Rebsorte und den Schliff des Winzers beschreibt. Daraus resultiert ein Qualitätswein mit unverfälschtem Trinkfluss. Wuchs er auf einem Schieferboden, schmeckt er eben nach Schiefer (und so weiter). Jetzt ertappt sich vielleicht der ein oder andere, bei Terroir sofort an europäischen Wein zu denken – statt an den immer gleich schmeckenden Shiraz aus Kalifornien. Schließlich spielt Terroir geprägter Wein in der Neuen Welt keine Rolle. Ist das wirklich so? In der Mitte liegt die Wahrheit.

Industrielle Massenproduktionen aus der Alten Welt sind genauso aalglatt wie solch produzierten Weine aus der Neuen Welt. Es ist eben eine Frage des Preises. Besser gesagt, was der Konsument bereit ist, zu zahlen. Und das ist sehr wenig: Für kleines Geld kriegt der Konsument einen gleichförmigen Mainstream-Wein, der die Rebsorte betont, jedes Jahr gleich schmeckt und frei von Fehlern ist. Allerdings bedient die Mainstream-Ware auch den Weinsnob, dem ein (populärer) Markenname vor Qualität geht.

Das clevere daran: Mit solchen Weinen spricht die Weinindustrie eine breite Zielgruppe an. Denn sie zwicken nirgends und sind beständig. Wodurch genug Geld für das Marketing übrig bleibt. Apropos Marketing: Während der Trend in der Neuen Welt schnurstracks zu Appellationen (AVA in Kalifornien oder WO in Südafrika) geht, ist es in der Alten Welt ein Auslaufmodell. Die Neuen schaffen endlich Transparenz – gleichwohl schaffen die Alten sie nach und nach ab.

Wir sind selbst schuld! Deutsche Weintrinker geben im Schnitt drei Euro für einen Liter Wein aus (Stand 2018). Über siebzig Prozent kaufen Wein beim Discounter.

Panscherei im Weinbau ist überall widerlich

Aber was ist daran dran, dass die Neue Welt Winemaker Panscher sind? Schmeißen sie wirklich Aromen, Eichenholzchips, Zucker und Säure in die Weintanks? Es ist richtig und falsch. Vorweg: ALLE Länder dürfen das. Genauer gesagt, spielt das Weinrecht global (fast) nach den gleichen Regeln. Welches unter anderem erlaubt, Weine aus mehreren Jahrgängen zu verschneiden oder dem Wein Zucker (Chaptalisierung) beizumischen, um den potenziellen Alkoholgehalt zu erhöhen. Genauso dürfen alle Winzer mit Ascorbinsäure (Vitamin C) den Wein spritziger designen. Oder ihm mit Eichenholzchips eine Barrique-Note verpassen.

Es geht aber noch weiter. Alle dürfen ihren Wein mit Gummi arabicum (E 414) mollig machen für ein samtweiches Mundgefühl. Relativ routiniert ist auch der Einsatz von Gelatine. Damit schönt der Winzer den Wein und geschwefelt wird sowieso fast überall. Bedrohlich ist das alles keinesfalls. Fragwürdig hingegen schon.

Sagen wir mal so: Alles in allem ist es doch wie nach dem Eingriff eines plastischen Chirurgen. Danach sieht man zwar „glatter“ aus, aber eben ohne sein wahres Ich zu zeigen.

Trotzdem ist es nachvollziehbar, warum viele so arbeiten. Denn kaum ein Winzer kann sich heutzutage noch ein kontrolliertes Nichtstun (nichtinvasiven Weinbau) leisten. Wer es sich erlaubt und die entsprechenden Preise dafür veranschlagt, geht ein hohes Risiko ein.

Ohne Boden kein Leben – ohne Leben kein Boden

Bevor die Winzer in der Alten und in der Neuen Welt ihre Trauben in den Keller einfahren, passiert schon so einiges direkt an der Rebe selbst. Hier fängt die Panscherei in Form von chemischer Spritzerei an. Was für die Natur vernichtende Folgen hat. Wenngleich für den Mensch nahezu unbedenklich (laut Studien und Grenzwerte), belasten chemische Hilfsmittel die Biodiversität. Sie sind DER Feind für das komplette Ökosystem, bestehend aus der Biozönose (Tiere) und dem Biotop (Pflanzen).

Chemie tötet die Artenvielfalt. In der Alten Welt, in der Neuen Welt, in der Ganzen Welt. Herbizide töten Pflanzen, Insektizide töten Insekten, Molluskizide töten Nacktschnecken, Rodentizide töten Nagetiere, Fungizide töten Pilze, Akarizide töten Milben. Siebenmal das Wort töten in einem kurzen Absatz. Problematisch? Schon – auch ganz ohne Pestizid-Hysterie!

Ökowinzer arbeiten im Weinkeller oft wie ihre konventionellen Kollegen.

Das alles heißt aber nicht, dass im Bio-Weinbau alles sauber vonstattengeht. Kupfer (die sogenannte Bordeauxbrühe) ist ein Schwermetall, das in den Boden sickert und dabei Regenwürmer schädigt. Eigentlich verdauen die gefräßigen Würmchen den Boden, wobei sie ihn zeitgleich auch vermischen. Dabei reinigen sie ihn auf natürliche Weise – ohne Schwermetalle. Regenwürmer sind so wichtig wie Bienen. Dringt Kupfer einmal in den Boden ein, bleibt es dort, da es sich kaum abbaut. Unabhängig davon ist im Keller Folgendes Fakt: Ökowinzer auf der ganzen Welt arbeiten im Weinkeller oft genauso wie ihre konventionellen Kollegen. Alles kein Problem, weil es das globale Weinrecht erlaubt.

Innovation im globalen Weinbau?

Ohne zu urteilen oder zu werten, lässt sich unterm Strich festhalten: Die Neue Welt ist in keinem Fall frecher als die Alte Welt. Sie darf nicht mehr und nicht weniger. Die traurige Realität zeigt, viele Winzer auf der ganzen Welt arbeiten kostengünstig. Aber das ist unsere eigene Schuld – weil wir sie in ihrem Handeln bestätigen, indem wir ihren billigen, massenproduzierten Wein kaufen. Es liegt in unserer Hand, das zu beenden.

Mittlerweile sieht es so aus, als sei die Neue Welt mit ihren regionalen Regeln fortschrittlicher als die alteingesessene Weinkultur, die die Regeln nach und nach abschafft. Somit muss die Alte Welt höllisch aufpassen, dass ihnen (wie in vielen anderen Bereichen) nicht der Zug vor der Nase wegfährt.

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